Hintergründe und Auslöser der chinesischen Datenstrategie
Margot Schüller: Ich glaube jetzt wissen wir alle, um was es geht und wir wissen auch, wie wichtig die Experten sind für unsere Diskussion. Fangen wir also mal an mit der ersten Fragerunde, und zwar wie ist das denn seit den letzten fünf Jahren mit der Entwicklung der Datenstrategie, Herr Wübbeke, was waren die Auslöser, dass sich China überhaupt einer neuen Staatenstrategie zugewandt hat. Könnten Sie da die Hintergründe erläutern? Danke.
Jost Wübbeke: Okay, ich hoffe online hat man mich auch trotzdem gehört. Also es sind aus meiner Sicht erstmal drei Punkte. Der erste Punkt ist natürlich: Es ist ja erstmal ein weltweites Phänomen und da sticht China auch nicht besonders hervor, dass man eine Datenstrategie erstmal braucht und das Processing von Daten, erstmal reguliert. Und ich meine, da gab es auch in China genug Skandale, die das notwendig gemacht haben. Wenn man jetzt so an Baidu, an die chinesische Suchmaschine denkt, da gab es 2016 einen großen Skandal, wo Daten, also ein Code zur Verfügung gestellt wurde von Baidu und dieser in unterschiedlichsten Apps benutzt wurde. Und dieser Code hat Daten abgegriffen und die ganzen persönlichen Daten an Baidu geschickt. Und das heißt, es war auch unbedingt notwendig, das erstmal zu regulieren. Was sicherlich besonders ist für den chinesischen Staat, warum die Datenstrategie so aussieht wie sie ist, ist natürlich der Aspekt der nationalen Sicherheit. Das ist sicherlich deutlich anders als in Europa. Aber generell dieser Begriff der Sicherheit, der steht natürlich sehr, sehr stark im Vordergrund und ich denke das sieht man in unterschiedlichen Bereichen, wie einfach dieser Begriff "Sicherheit" auch in China ausgeweitet wird, nicht nur im Bereich Daten, sondern in sämtlichen Bereichen: Energiesicherheit, wirtschaftliche Sicherheit. Also sehr, sehr breit. Was natürlich interessant ist - und ich glaube da werden wir sicherlich noch drauf eingehen - viele Daten sind natürlich für China auch von nationalem Sicherheitsinteresse. Also ich denke vielleicht werden wir über Kartendaten auch nochmal sprechen, aber das ist natürlich einer der Bereiche, der extrem sensitiv ist, wo übrigens auch die- also Sie hatten ja gesagt wir beraten, also Sinolytics, berät deutsche Unternehmen. Was man zum Beispiel im Automobilbereich sieht, dass deutsche Unternehmen größte Schwierigkeiten haben Lizenzen zu bekommen für hochauflösende Karten. Wo man sagt: Das braucht man eigentlich fürs autonome fahren. Aber da ist eben der chinesische Staat und sagt: Ja, das sind Daten, die sind irgendwie für die nationale Sicherheit von Bedeutung.
Ein dritter Punkt, den ich auch noch interessant finde, was hat eigentlich geführt zur chinesischen Datenstrategie. Herr Conlé Sie hatten es schon angesprochen - dass China Daten als eine Ressource ansieht. Und durchaus, also man hat ja gesagt das ist sozusagen der vierte Produktionsfaktor, und ich finde das eigentlich sehr einleuchtend und das zeigt irgendwie auch wie wichtig das aus einer chinesischen Sicht ist und natürlich auch in einem -sag ich mal- Wettbewerb, in einem wissenschaftlichen, in einem wirtschaftlichen Wettbewerb, dass natürlich gerade, wenn es hier um den grenzüberschreitenden Datenverkehr geht, natürlich auch darum geht: Wo behalten wir uns den Zugriff auf unsere Daten vor und wo ist es vielleicht opportun das nicht zu tun.
Schüller: Das ist ein guter Ausgangspunkt für die nächste Frage. Nämlich, Herr Pattloch, mit dieser Datenstrategie verändert sich ja sehr viel, es verändert sich sehr viel für die Wirtschaft, auch für die Wissenschaft. Was sind da die wesentlichen Veränderungen, die Sie sehen?
Thomas Pattloch: Ja, das ein sehr breites Feld geworden. Das war früher ein ganz kleiner Bereich, man muss sich vorstellen: Vor 2017, bevor das Cyber Security Law erlassen wurde, gab es auf der juristischen Seite so gut wie nichts. Es gab ein paar Vorschriften im Healthcare-Bereich, aber im Übrigen war das ganze relativ offen. Jetzt hat ja mein Vorredner auch schon beschrieben, wie da sozusagen der Fokus immer mehr auf diese Daten gerutscht ist, da war auch Tencent dran schuld und andere Unternehmen mit denen sich Xi Jinping zusammengesetzt hat und dann hat er da mit Pony Ma zusammen gesessen und gesagt: "You are sitting on a treasure, i want this". Und daraufhin startete die Regulierung, startete auch ein vermehrter Konflikt mit dem Westen.
Man darf nicht vergessen, dass die derzeitige chinesische Führung gegenüber dem westlichen Gesellschaftssystem sehr kritisch ist - und hat daraufhin angefangen, immer mehr Regularien zu erlassen. Und eine der Folgen, wonach Sie gefragt haben, ist, dass jetzt sehr viel mehr Regulationen, Regularien unterfällt, was vorher völlig frei war. Insbesondere die Wissenschaft, insbesondere Projekte, in dem Daten verschoben werden, hin und her, aber auch die Frage wie ich mit den Daten umgehe und was ich tun muss, wenn ich Daten habe. Das Vorbild der EU aus der DSGVO, der Datenschutzgrundverordnung, wurde zu einer Art Bumerang, denn die chinesische Seite hat gesagt: Das können wir besser, wir nehmen das, wir nehmen personenbezogene Daten. Da waren die Baidu Skandale und andere Skandale auch wirklich, und also TikTok und ähnliches kann man da auch anführen, das ist schon sehr umfangreich, wie da Daten sozusagen einfach missbraucht wurden. Aber die chinesische Seite hat daraus etwas viel Umfassenderes gemacht, sie hat ein Konzept entwickelt. Und das Konzept beginnt eigentlich schon vor dem Cyber Security Law, es beginnt in 2013 mit dem Social Credit System.
Das Social Credit System war ein erster Versuch, mehr Übersicht und Ordnung zu bekommen innerhalb des eigenen Chaos, der eigenen Wirtschaft. Sie müssen sich vorstellen, die chinesische Wirtschaft ist viel fragmentierter als das bei uns ist, es gibt dutzende von Unternehmen, Karteileichen, es gibt wahnsinnig viele Formen von Unternehmen, wo man manchmal gar nicht so ganz genau juristisch weiß: Was ist das jetzt eigentlich? Und es wird auch sehr viel sozusagen an Abläufen aufgeteilt und die Übersicht ist sehr schlecht. Und das Social Credit System sollte mal so ein bisschen Übersicht schaffen, das hat es auch und es hilft auch, und daraus ist dann mehr geworden. Und das "mehr" heißt, dass heutzutage, wenn Sie jetzt die Regularien anschauen, wir personenbezogene Informationen sehr umfangreich geregelt finden, es finden Anforderungen statt, die gehen über unsere DSGVO hinaus. Da müsste man mal im Detail darüber reden, was es ist, aber so grundsätzlich: Man muss mehr machen, als nach der DSGVO. Und dann gibt es neue Datenkategorien, die wir bisher in der EU noch gar nicht geregelt haben. Nämlich die sogenannten "Important Data", wichtige Daten, und "Core National Date", da gibt es auch noch "Network Data", es gibt "Scientific Data", ganz viele Datenkategorien, die gebildet werden.
Also der Hintergrund, die Folge dieser Regulierung, ist, dass nun plötzlich auch der Wissenschaftler, auch der individuelle Wissenschaftler und das Unternehmen, sich an diese Regelungen seit Ende 2021 halten müssen, sie aber gar nicht so richtig kennen. Man denkt sich: Ich hab meine DSGVO, ist alles gut, passt. Und dann kommt die chinesische Seite und sagt: Naja, wir hätten hier noch so ein Security Assessment und ein Data Impact Assessment und wir hätten hier noch die Bitte, dass da auch ein Data Protection Officer benannt wird, auch wenn Du im Ausland sitzt, und wir hätten hier noch die Bitte, dass du vor einem Export auch nochmal gewisse Sicherheitsgarantien abgibst und so weiter und so fort. Also von null Regulierung zu sehr viel Regulierung. Und von relativ freiem Umfeld zu sehr stark kontrolliertem Umfeld. Es geht um Kontrolle, Transparenz. Und die Transparenz ist nicht nur im Sinne von nationaler Sicherheit, das ist ein wichtiger Aspekt, es geht auch darum, dass man lenken will. Man will sicherstellen, dass die Ressourcen des Staates möglichst dort eingesetzt werden, wo die chinesische Führung glaubt, dass sie am besten eingesetzt werden soll. Und das kann man natürlich nur, wenn man genau weiß, was passiert, und man kann es auch nur, wenn man ein Verständnis dafür hat, was wichtig ist - auch in der Wissenschaft. Und dazu muss man erstmal sehr viele Daten bekommen. Also lange Rede, kurzer Sinn: Die Juristen freuen sich, die Wissenschaftler verzweifeln, und zwar zu Recht. Es ist so, dass wir uns ein wahnsinniges Korsett angelegt haben, die Europäer haben angefangen, die Chinesen haben es besser gemacht, weitergemacht. Und jetzt sitzen wir vor einem riesigen Feld von Definitionsaufgaben, die wir Juristen besonders lieben, die Ihnen in Ihrer Forschung nichts bringen werden, aber die natürlich ein politisches Lenkungsinstrument sind. Und die Frage ist: Welche Auswirkung wird das haben auf unsere Wissenschaftskooperation.
Schüller: Ja, da kann ich gleich anschließen. Ich möchte doch beide nochmal ganz kurz fragen und zwar: Sie sagten einerseits sind es interne Gründe, Zwänge, die quasi aus der Entwicklung der chinesischen Wirtschaft kommen, und anderseits auch geopolitische Zwänge. Wie ist das die im Verhältnis, hat sich das verändert im Laufe der Zeit, ist das jetzt gerade die Geopolitik, die im Vordergrund steht, die nochmal eine Veränderung erzeugt, oder ist das eigentlich jetzt schon zur Konfrontation mit dem Westen gekommen?
Wübbeke: Also ich würde sagen, die interne Kontrolle, gerade durch die CAC, das ist die Chinese Cyber Administration, ein Ministerium was sehr stark, oder sehr kontrollsüchtig ist, und eigentlich auch der Kern dessen ist, was Herr Pattloch ja auch beschrieben hat, dieses Wirrwarr aus Regularien und diese Komplexität. Und das ist etwas, was unabhängig erstmal von dieser geopolitischen Situation ist, sondern einfach auch damit zu tun hat, mit diesem Sicherheitsdenken - zwar nach außen hinaus, aber auch nach innen hin - und mit dieser Kontrolle. Und da steht übrigens die CAC auch mit anderen chinesischen Ministerien in Konflikt, also zum Beispiel mit dem MIIT. Das hat man im Automobilbereich sehr schön gesehen, da gab es dann so Verordnungen wie: Da sollte man jedes Mal, bevor das Auto losfährt, muss man ein consent geben, was ja irgendwie blödsinnig ist, das gibts ja - würde man sagen - noch nicht mal in Deutschland. Und ich meine das ist natürlich dann irgendwann auch verschwunden, aber das sind solche Sachen, die passieren und die passieren unabhängig von der Geopolitik. Jetzt ist es natürlich so, dass sich dieser geopolitische Faktor da auch mit vermischt und - es gab jetzt auch das Beispiel, dass die Teslas da nicht mehr in gewisse Militärbereiche reinfahren durften, das waren nicht nur Militärbereiche, sondern auch Staatsunternehmen. Und ich meine, Staatsunternehmen haben ja auch Wohngebiete, also die ganzen residential areas, sie gehören zu den Staatsunternehmen. Und da durfte man auch nicht reinfahren. Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe ähnliches schon einmal von Deutschland auch gehört, ich weiß nicht ob das dann wieder zurückgenommen wurde, aber das fand ich dann interessant, den Punkt. Also die Augen und Ohren des Teslas können sozusagen dann die Daten übermitteln in die USA.
Ein interessanter Fall, wo ich finde, dass Geopolitik ein sehr starker Faktor war, ist DiDi Chuxing, die größte chinesische TaxiApp, die ja jetzt erst vor ein paar Tagen wieder neue User zulassen durfte. Und das war über anderthalb Jahre auf Eis gelegt. Und das Problem, war natürlich, dass DiDi in den USA gelistet war, an der Börse, und dort haben sie dann bestimmte Offenlegungspflichten, und das hat den chinesischen Behörden überhaupt nicht gepasst. Ja, da ist auf jeden Fall ein geopolitisches Element drin.
Jetzt mal in die Zukunft gesehen: Dieses cross-border data transfer regime ist ja auch noch relativ neu, also insofern ist es als Sanktionsinstrument auch noch nicht so sehr vorhanden. Es gibt ein paar Ausnahmen im Finanzbereich oder im Health-Bereich, aber für die meisten ist das eigentlich relativ neu. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass diese selektive Kontrolle von Daten - und ich denke, viele Unternehmen werden davon nicht betroffen sein, oder vielleicht auch Wissenschaftler, ich muss sagen, ich sehe das aus der Unternehmensperspektive, aber das lässt sich vielleicht auch auf die Wissenschaft beziehen - viele Unternehmen wird es vielleicht nicht direkt betreffen. Sie müssen natürlich complient sein, aber sie werden nicht in den Fokus gerückt werden. Aber selektiv kann das sehr wohl auch eingesetzt werden. Und das ist so ein bisschen das Fiese an der chinesischen, Gesetzgebung und Regulierung: Es wird nicht immer unbedingt das gemacht, was auf dem Papier steht. Und vieles wird dann auch hintenherum gemacht und irgendwie informell. Und das ist glaube ich ist das schwierige und da glaube ich, dass das durchaus eine Rolle spielen kann.
Schüller: Möchten Sie noch etwas ergänzen zu dieser Frage: Ist das mehr Geopolitik? Haben Sie noch eine Ergänzung zu dieser Frage: Mehr Geopolitik oder mehr interne Zwänge? Wollen Sie dazu noch kurz etwas zu sagen?...
Pattloch: Ich glaube, was wir häufig im Westen nicht ganz verstehen ist, dass es vor allem nach innen geht. Also es geht darum, das Land sozusagen im Griff zu behalten und so zu formen und so zu lenken, wie es die derzeitige politische Führung will. Die geopolitischen Faktoren sind Driver, das sind sozusagen auch Rechtfertigungen und es sind Dinge, die ich aus chinesischer Perspektive auch als echte Bedrohung wahrgenommen werden. Es gibt sehr viele red lines, die die chinesische Seite schon sehr lange als crossed ansieht. Das fängt an bei diesen ganzen Fragen zum Staatsgebiet Chinas, das geht weiter über semiconductors und es geht auch dahin zur Frage, Medienfreiheit, Medienvielfalt, Meinungsäußerungsfreiheit und ähnliches.
Also aus meiner Sicht ist die Entwicklung, die wir sehen werden, es geht zu immer mehr Kontrolle, zu immer mehr Einschnüren. Und das Damoklesschwert, dass Sie so schön beschrieben haben, dass also über jedem schwebt, das ist einfach nur ein Tool um alle in Liene zu bringen, um sicherzustellen, dass sich jeder daran hält. Das ist aus westlicher Sicht vielleicht etwas problematisch, aus chinesischer Sicht nur konsequent. Wenn sie anfangen mit diesem Social Credit System und immer das weiterdenken, der Kontrolle über die Gerichte und jetzt bei den Daten landen, dann ist das einfach nur eine ganz klare Richtung. Und für uns wird die Herausforderung sein, wie man, mit welchen Risiken man in Zukunft dann in diesem Umfeld mit China zusammen agiert.
Schüller: Ja, vielen Dank, jetzt kommen unsere anderen Experten mit ins Spiel, Herr Yahyapour. Gucken wir doch mal nach Europa und Europa hat ja auch eine Datenstrategie, oder mehrere vielleicht sogar, und wie werden da Datenräume definiert? Wir haben ja diese European Science Cloud und andere Institutionen, die sich da entwickelt haben. Können Sie uns da ein bisschen mehr zu erzählen?
Ramin Yahyapour: Ja, das kann ich gerne machen. Wie meine Vorredner schon berichtet haben: Der Wert, die Bedeutung von Daten ist natürlich auch in der Wissenschaft völlig klar, und das auch seit vielen Jahren. In der Verbundforschung, bei Großexperimenten ist das schon ewig gelebte Praxis, in anderen Disziplinen kommt das in den letzten Jahren, dass man schon sagen muss: In vielen Forschungsfeldern kann man eigentlich nur im Verbund, in Zusammenarbeit mit der Möglichkeit zum Datenaustausch die großen neuen Errungenschaften der Zukunft erreichen. Und deshalb beschäftigt man sich natürlich genau mit dieser Fragestellung, und da muss man sagen, in den letzten Jahren oder aktuell beschäftigen wir uns primär damit, überhaupt Daten zugängig zu machen, nachnutzbar zu machen und nach den FAIR-Prinzipien, wie Herr Conlé sie auch genannt hatte, zugänglich zu machen. Weil wir natürlich in der Wissenschaft sehr individuell, am Platz eines einzelnen Wissenschaftlers, an einer Universität, Daten generieren, für die einzelne Personen es vielleicht gar nicht klar ist: Was muss ich denn machen, damit meine Daten noch in 10 Jahren zugänglich sind?
Und dafür sind Infrastrukturen neu entstanden, Aktivitäten entstanden - Sie hatten das Beispiel genannt aus meiner Vita, dass wir in Deutschland vom Rat für Informationsinfrastrukturen da genau ein Defizit gesehen haben, dass zwar viele Daten in der Wissenschaft entstehen, aber das volle Potential nicht genutzt wird daraus. Und daraus ist die nationale Forschungsdateninfrastruktur entstanden, eine Förderung des Bundes und der Länder, wo es darum geht, dass wissenschaftliche Disziplinen für sich die richtigen Formate, die richtigen Dienste, finden und dafür Strukturen aufbauen, um in ihrer Community solche Daten auszutauschen. Das machen wir in der RFFI, das ist das Kürzel dafür, für Deutschland. Auf der europäischen Eben gibt es die European Open Science Cloud, die ähnliche Ziele verfolgt, genau solche Datenräume aufzubauen, für bestimmte Disziplinen dort Strukturen zu schaffen. Nicht nur technisch, sondern auch durch Beratung, Unterstützungsleistung, um diesen Datenaustausch zu ermöglichen.
Die Punkte, die eben genannt worden sind, die geopolitischen Aspekte, sind Aspekte, die aus meiner Sicht in den letzten Jahren erst neu hinzugekommen sind und in vielen Bereichen den Wissenschaftler, die Wissenschaftlerin noch nicht erreicht haben. Im Moment freuen wir uns, dass wir überhaupt Daten austauschen können. Jede größere Universität, wie Hamburg oder Göttingen, hat eine Forschungsdatenpolicy -oder Leitlinie oder Richtlinie- erlassen, wir haben in den letzten Jahren daran gearbeitet eine open science, open data policy zu schaffen, um diese ganzen Dinge zu ermöglichen, auch ein Zeichen zu setzen, dass man Daten austauschen möchte, dass man teilhaben möchte an diesen ganzen Communities. Die geopolitischen Aspekte sind für uns, denke ich, noch eine völlige neue Herausforderung, zu denen wir noch gar keine Antworten gefunden haben. Und wie meine Vorredner eben sagten: Die systemischen Unterschiede zwischen China, Europa und auch Deutschland sind da natürlich völlig klar. Wenn wir im Moment über solche Fragestellungen reden, dann sind wir meistens den Selbstregulierungsprozessen der Wissenschaft unterlegen, was wir natürlich auch immer brauchen und wollen. Wir kriegen ja keine Vorgaben durch die Bundesregierung durch irgendeine policy, es gibt zwar eine Datenstrategie, aber wie sie am Ende umzusetzen ist, was das bedeutet für unsere einzelnen Projekte, in welche Kategorie unsere Daten fallen, da sind wir noch gar nicht angekommen, das ist ein Punkt, mit dem wir uns jetzt erst beschäftigen müssen. Als CIO einer großen Universität, wenn ich eine Anfrage kriege von einem Wissenschaftler, "Ich muss hier einen Vertrag unterschreiben, um Daten mit dem NIH in den USA auszutauschen", sind das Punkte, wo man mit gutem Menschenverstand mit der Rechtsabteilung versucht, eine Einschätzung zu treffen. Wenn diese Frage vor drei Jahren zum Datenaustausch mit Russland stattgefunden hätte, hätte man die wahrscheinlich anders beantwortet als wir es jetzt im Januar 2023 tun würden.
Und beim Thema China wird es ähnlich sein, dass wir dafür, denke ich, noch die richtigen Beratungs- und Unterstützungsstrukturen brauchen, an den einzelnen Standorten aber auch best-practices policies und Rahmenbedingungen, weil wie gesagt: In vielen dieser Fällen sind diese Entscheidungen am Schreibtisch der Wissenschaftler, das passiert nicht beim Präsidenten der Uni Hamburg oder beim Präsidenten der Uni Göttingen, sondern das sind ja Dinge, die in unseren normalen Forschungsprozessen stattfinden und dafür haben wir im Moment, glaube ich, noch keine Leitplanken für uns definiert: Was wir wollen, was wir können und wie wir es am Ende auch umsetzen wollen.
Schüller: Ja, vielen Dank Herr Yahyapour, das ist ganz wichtig für diese Perspektive auf Europa und was wir hier für Herausforderungen haben. Ich möchte jetzt Herrn Castell fragen: Es geht das Stichwort- also open science als übergreifendes Leitbild für eine digitale Wissenschaft, was genau bedeutet das? Da können Sie uns wahrscheinlich mehr zu erzählen.
Wolfgang Graf zu Castell-Rüdenhausen: Sehr gerne, das mache ich selbstverständlich. Denn open science mal grundsätzlich, ist einfach auch der Anspruch oder die Haltung zu sagen, dass ich im Wissenschaftsprozess, sozusagen vom ersten Gedanken bis zur Publikation der Ergebnisse am Ende, offen bin, transparent bin, die Dinge zugänglich mache. Warum ist das das Ziel? Weil grundsätzlich erstens mal die Wissenschaft natürlich, elementar von dem Prinzip der Nachvollziehbarkeit lebt, das wissenschaftliche Prinzip scheitert, wenn ich Wissenschaft alleine für mich in meinem Zimmer betreibe und Heureka rufe, wenn ich etwas verstanden habe. Also insofern ist open science eigentlich überhaupt nicht neu, sondern ist eigentlich eine Grundselbstverständlichkeit,1 seitdem wir Wissenschaft betreiben.
Nun, je mehr wir die Wissenschaft digitalisieren und das Ganze in die Datenwelt bringen, desto mehr kommen wir auch an die Herausforderungen, dass diese digitale Welt einfach nicht die gleichen Grenzen kennt, die wir in der physikalischen Welt haben. Und deswegen stellen wir uns heute natürlich viele, viele Gedanken, oder viele Fragen, die wir uns vorher nicht gestellt haben. Nichtsdestotrotz, wenn Sie mich jetzt mal versuchen lassen einen Bogen zu spinnen, zu dem was bereits gesagt wurde, möchte ich doch an ein, zwei Stellen noch einen anderen Gedanken reinbringen. Also mein erster Gedanke an dieser Stelle ist: Wir machen am Geoforschungszentrum Erdsystemforschung, unser Objekt ist die Erde. Geopolitisch zu sagen, "Ich schneide mir aus dieser Erde einen Teil raus und ich mache Erdsystemforschung nur in Europa", macht nur bedingt Sinn - und ich sehe an Ihrer Mimik, dass Sie mir da folgen bei dem Gedanken. Genauso selbstverständlich haben wir natürlich, seit Jahrzehnten globale Kooperationen laufen, in der Erdbeobachtung, im Monitoring von Geoereignissen, Seismologie und solchen Dingen, die wir nur dann machen können, wenn wir global mitmachen und wenn wir, jetzt mal ganz salopp gesagt, unsere Daten dort erheben, wo die geologisch relevanten Regionen sind. Und welche Fahne, sozusagen, national da drüber hängt, spielt da zunächst mal keine Rolle. Wenn ich diese Frage zuerst stellen würde, kann ich die Wissenschaft da überhaupt nicht machen. Also die Frage, inwiefern sich die Wissenschaft sich dessen bewusst ist, ja oder nein: Die Wissenschaft wird getrieben von der Frage.
Ein zweites Thema ist, Sie hatten das gerade so schön gesagt: Es wird immer mehr geregelt. Ja, das ist richtig und das ist glaube ich ein Problem, was uns in der Wissenschaft sehr, sehr stark umtreibt. Zum einen ist es ja mal so, dass wir natürlich Wissenschaftler erziehen, ganz bewusst damit sie Grenzen nicht akzeptieren, deswegen machen sie ja Wissenschaft, sie wollen immer über die Grenzen hinaus gehen. Gleichzeitig ziehen wir immer mehr regulatorische Grenzen ein, und da muss ich gar nicht nach China gucken, da haben wir glaube ich, auch auf europäischer Ebene schon genug zu tun. Also das ist eine zweite Frage.
Der dritte Punkt, den ich hier einbringen möchte, ist: Wir reden immer über Daten und über die Zugänglichmachung von Daten. Ich selbst komme aus einem Feld, das man maschinelles Lernen nennen kann, dort ist es die Frage, was ich mit den Daten machen kann. Und was wir heute aber sehr, sehr deutlich sehen, ist auch ein Rennen, sozusagen, wer ist schneller in der Entwicklung von Produkten, von Technologie, die aufsetzen auf Daten. Und das Nadelöhr an dieser Stelle ist eben schon lange nicht mehr die reine Computing Infrastruktur, wie das high-performance Computing, sondern ist heute tatsächlich auch oft der Zugang zu guten, qualitätsgesicherten Daten. Da haben wir natürlich mit dem Aufbau der nationalen Forschungsdateninfrastruktur oder die European open science Struktur sehr, sehr gute Ansätze, aber die bauen auf einem diversen, föderierten Gedanken auf, in dem ich erstmal viele, viele Einzeldinge zusammenbringen muss. Aus einer Datenanalysesicht, sage ich natürlich, ist es eigentlich schön so einen Ansatz zu haben wie China, wo das alles von oben durchgedrückt wird, dass das zentral gesammelt wird, wo die zentralen Datenspeicher sozusagen aus der Fläche gefüttert werden. Dann kann ich mich auf diese zentralen Speicher draufsetzten und muss nicht, wie es heute mein Alltag ist, 80 Prozent meiner Zeit damit verbringen, die Daten erstmal zu sammeln, zu suchen, bevor ich überhaupt analysieren kann. Und in diesem Sinne, oder aus diesem Blickwinkel heraus, ist es natürlich schon sehr, sehr spannend einfach zu sagen: Wie führen denn eigentlich diese unterschiedlichen Strategien, jenseits der Fragen von Compliance, Geheimnisschutz, Intellectual Property und so weiter und so fort, wie führen die eigentlich dazu, dass in gewissen Feldern wissenschaftlicher Tätigkeit einfach auch unterschiedliche Geschwindigkeiten entstehen. Und das haben wir auch auf europäischer Ebene heute schon, wenn wir zum Beispiel Gesundheitsforschung anschauen in Ländern mit einem nationalen Gesundheitssystem versus Ländern wie Deutschland, in dem das Gesundheitssystem und demnach auch die Daten sehr verteilt sind, also die gleiche Thematik.
Und nun möchte ich noch einen letzten Gedanken mit reinwerfen: Herr Yahyapour sitzt hier natürlich auch als Vertreter, die auch Verantwortung tragen für eine Informationsinfrastruktur und IT-Sicherheit und diese Dinge spielen eine Rolle. Jetzt haben wir also, etwas wieder provokativ gesagt, die Herausforderung: Wir wissen, dass es Angreifer gibt, wir wissen - um es mal zu übertragen auf physikalische Gebäude -, dass in Gebäude eingebrochen werden kann. Nun, dann ist die Konsequenz daraus völlig klar: Das sicherste Gebäude ist eins ohne Türen und ohne Fenster, da kann kein Einbrecher rein. Die Herausforderung ist dann: Wie organisiere ich eigentlich eine internationale Party, die offen sein soll, wo jeder kommen kann und gehen kann, in einem Haus ohne Türen und Fenster? Das heißt wir müssen einen Kompromiss finden dazwischen, wir müssen einen Weg finden. Und in diesem Sinne an die verschiedenen Herausforderungen, an die verschiedenen Aufgaben, die wir haben, mit Pragmatismus ranzugehen, Handlungsoptionen zu haben, zu wissen: Wo können wir uns wie, auf welchem Feld bewegen? Ist ein Muss, weil eine ja-oder-nein-Frage, Kooperation mit China: Ja oder Nein? -, in einer binären Antwortskala, einfach keine Option ist.