Kapitelübersicht

Chinas Datenstrategie:
zwischen offener Wissenschaft und Geopolitik.

Podcast der Diskussionsveranstaltung

Mittwoch, den 18.01.2023, Universität Hamburg

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V. l. n. r.: Wolfgang Graf zu Castell-Rüdenhausen, Thomas Pattloch, Margot Schüller, Ramin Yahyapour, Jost Wübbeke



Die Digitalisierung ermöglicht es uns, große Datenmengen zu generieren, zu speichern und für die Realisierung grundlegender wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie von Innovationen zu analysieren und zu verwerten. Mit der steigenden Bedeutung von Daten nimmt einerseits das Interesse vieler Länder und Regionen an einer Gewährleistung und Verbesserung der Datenverfügbarkeit zu. Andererseits gewinnen geostrategische und geoökonomische Erwägungen an Bedeutung. Dies spiegelt sich in der Diskussion um die Errichtung von „Datenräumen“ und „Datenmärkten“ sowie der Sicherung der „Datensouveränität“ wider. China hat in den vergangenen Jahren damit begonnen, eine eigene ambitionierte Datenstrategie zu verfolgen. Gegenüber gleichlaufenden Bestrebungen in der EU setzt Chinas Datenstrategie eigene Akzente bei Themen wie Dateneigentum, Datenmanagement und staatliche Kontrolle. Ausgehend von Chinas Datenrecht und regulatorischen Maßnahmen der letzten Jahre wird die Diskussionsrunde auf folgende Fragen eingehen:

  • Worin unterscheidet sich Chinas Datenstrategie von den Ansätzen in der Europäischen Union?
  • Welche Bedeutung haben die regionalen datenpolitischen Trends für die internationale Forschungskooperation?
  • Wie soll die Wissenschaft in Deutschland und in der EU mit den chinesischen Initiativen umgehen?

Der folgende Podcast ist eine Aufzeichnung der am 18. Januar 2023 gehaltenen Veranstaltung an der Universität Hamburg, den Flyer dazu können Sie hier einsehen.

Einleitung
Marcus Conlé: Sehr geehrte Damen und Herren, es freut mich, dass Sie Ihren Weg zu uns gefunden haben heute Abend, ob jetzt im Saal oder auch im Livestream. Die heutige Veranstaltung [...] ist Bestandteil des ebenfalls vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts WIKOOP-INFRA. Bei WIKOOP-INFRA handelt es sich um ein Projekt zur Steigerung der Handlungssicherheit in Wissenschaftskooperationen speziell mit China und speziell in der Großgeräteforschung. Es ist ein Verbundprojekt des deutschen Elektronsynchrotron DESY, des German Institute for Global and Area Studies GIGA, des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg IFSH sowie des Helmholtz-Büros in Peking. Der Fokus von WIKOOP-INFRA liegt auf der Bewältigung von Herausforderungen in der Kooperation in verschiedenen Handlungsfeldern. Eines dieser Handlungsfelder ist der Zugang zur Forschungsinfrastruktur und Forschungsdaten. Damit wären wir bei unserem heutigen Thema.

Die Zusammenarbeit im Hinblick auf Forschungsdaten ist ein Thema, das von außerordentlicher Relevanz ist in einer internationalen Kooperation, nicht nur für die wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern auch für die wissenschaftliche Zusammenarbeit. Nehmen wir zum Beispiel DESY. DESY ist ein Forschungszentrum in Hamburg, das große Forschungsinfrastrukturen für Forschende aus aller Welt baut und bereitstellt. Bei den wissenschaftlichen Experimenten, die an den Großanlagen getätigt werden, fallen gewaltige Datenmengen an, die für die Forschung gespeichert und auch bereitgestellt werden. Internationale Kooperationen beziehen sich hier auf die Erzeugung und Auswertung großer Datenmengen in gemeinsamen Forschungsgruppen, an gemeinsam genutzten Anlagen und oder mit gemeinsam genutzten Datensätzen. Es ist vor diesem Hintergrund, dass die Regeln für Datenzugang und -nutzung von erheblichem Interesse sind für uns, für die Helmholtz Gemeinschaft, zu der DESY gehört, und generell für die Grundlagenforschung.

Unser heutiges Thema betrifft speziell Kooperationen mit China. Es ist für uns ein strategisch wichtiger aber, und das ist mittlerweile landläufig bekannt, ein relativ schwieriger Partner. Mit beständig hohen Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung hat sich China in den letzten Jahren zu einem attraktiven Kooperationspartner entwickelt. Chinesische Forschungseinrichtungen wie die Chinesische Akademie der Wissenschaften, die CAS, oder Wissenschaftszentren wie Beijing oder Shanghai nehmen heute Spitzenpositionen in wissenschaftlichen Rankings ein. Schauen Sie sich zum Beispiel den Nature Index an! Auf Gebieten wie, sagen wir der physikalischen Chemie, sind Forschende in China weltweit führend. Diese Entwicklung gerade auch in der Grundlagenforschung ist durchaus beeindruckend. Und man kann - ja wahrscheinlich man muss- davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. Zuletzt hat China zunehmend den Fokus auf die Förderung der Grundlagenforschung gelegt.

In dieser strategischen Förderung spielt der Bau und Betrieb von Forschungsgroßanlagen eine besonders hervorgehobene Rolle. Der derzeitige 14. Fünfjahresplan für den Zeitraum 2021 bis 2025 sieht zum Beispiel den Neu- oder Ausbau, also das Upgrade von insgesamt 22 Forschungsinfrastrukturen vor. Die Bandbreite an Forschungsinfrastrukturen, die in China bereits im Bau sind oder noch in der Entwicklung sind, ist beachtlich. Sie reicht von großen astronomischen Teleskopen und Observatorien bis hin zu Teilchenbeschleunigeranlagen, also sozusagen Supermikroskopen für Elementarteilchen, wie wir sie auch bei DESY hier im Hamburger Westen haben. Die Nutzung dieser Forschungsanlagen ist auch für Forschungsgruppen von außerhalb Chinas von allergrößtem Interesse, selbstverständlich. Effizienzaspekte spielen eine Rolle, die Anlagen ergänzen sich aber auch zudem häufig. Viele von der Chinesischen Akademie der Wissenschaft betriebene Anlagen sind komplementär zu den Anlagen, die die Helmholtz Gemeinschaft betreibt. Kooperation verspricht hier also eine Verbesserung der Forschung, gerade im Hinblick auf die großen wissenschaftlichen Fragen und globalen Herausforderungen unserer Zeit. Für die Wissenschaft hat eine allgemeine Zugänglichkeit zu Forschungsinfrastruktur und Forschungsdaten erhebliche Vorteile. Also Open Data. Also der offene, leichte und allgemeine Zugang zu Daten erleichtert zum einen die Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen. Sie schafft Transparenz und leistet damit einen Beitrag zur Sicherung der Forschungsintegrität. Zum anderen ermöglicht Open Data die Wiederverwendung und Verknüpfung von Daten für weitergehende Forschung und verspricht damit eine Erhöhung der Produktivität, der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit.

Dem stehen einige Herausforderungen gegenüber, gerade in China. Zum einen sind es erst einmal technische Herausforderungen. Sie beziehen sich auf die Schaffung von Strukturen, Prozessen und Anreizen, um Daten FAIR zu machen. FAIR steht hier für Findable, also auffindbar, Accessible, zugänglich, Interoperable, Interoperabel und Reusable, wiederverwendbar. Das ist die technische Dimension des Problems. Ein weiteres Problem resultiert aus den Erwartungen, die heutzutage auch schon an die Grundlagenforschung herangetragen werden. Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn besteht von Seiten der Gesellschaft und Politik auch die Hoffnung auf zivilgesellschaftliche Innovationen und kommerzielle Produkte, was bei dem finanziellen Einsatz, der bei diesen Forschungsgroßanlagen hoch ist, natürlich auch legitim ist. Und in manchen Ländern, zum Beispiel in China, auch in den USA, geht es auch um sicherheitspolitische Lösungen.

Mit Blick auf internationalen Forschungskooperation stellt das Potenzial genau für solche außerwissenschaftlichen Anwendungen und zusätzlichen Möglichkeiten des Missbrauchs ein Einfallstor für Geopolitik dar. Die geopolitische Dimension zeigt sich auch in nationalen bzw. regionalen Datenstrategien, die in den letzten Jahren entwickelt worden sind, zum Beispiel in der EU und in China. Es zeigt sich in geostrategischen Abwägungen, wie zum Beispiel in Begriffen zu Datensicherheit und Datensouveränität. Sie zeigt sich in geoökonomischen Erwägungen, in Verbindung mit Daten als Ressourcen, Daten als Produktionsfaktoren. Ein Leitprinzip für Open Data besagt, dass Daten so offen wie möglich und so geschlossen wie nötig sein sollten. Im Hinblick auf die Forschungskooperation mit China schließen sich daran folgende Fragen an: Wie offen bzw. wie geschlossen sind Daten in den Datenstrategien innerhalb der EU und China? Und für wen sind die Daten offen bzw. geschlossen? Welche Unterschiede bestehen in der Schwerpunktsetzung? Welche Auswirkungen haben die Strategien auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China? Und wie offen bzw. geschlossen sollten eigentlich Forschungsdaten unter den gegebenen Umständen sein? Verändert die Geopolitik die Sicht auf Open Data? Wie könnte mit China in Bezug auf offene Wissenschaft letztendlich kooperiert werden? Mit solchen Fragen werden wir uns heute in der Expertenrunde beschäftigen und hierfür reiche ich den Stab weiter an meine Kollegin Frau Dr. Margot Schüller, die die Runde vorstellen und moderieren wird. Ich möchte sie aber zuerst vorstellen. Margot Schüller ist eine langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am German Institut für Global and Area Studies, GIGA, in Hamburg. Und sie ist eine hochgeschätzte Kollegin bei uns im Projekt WIKOOP-INFRA. The floor is yours!
Einführung der Redner
Margot Schüller: Guten Abend meine Damen und Herren. Auch von meiner Seite herzlich willkommen, und Marcus danke für die gute Einführung in das Thema, jetzt wissen wir mehr und sind noch gespannter. Und es geht um Datenstrategie und wie wir damit umgehen,und bevor wir einsteigen in das Thema, möchte ich erstmal die Experten in dieser Runde vorstellen. Ich fange alphabetisch an mit Privatdozent Dr. Wolfgang Graf zu Castell-Rüdenhausen, Herr Castell ist Leiter des Departments Geoinformation und Chief Information Officer am deutschen Geoforschungsinstitut und Vorsitzender des Arbeitskreises "Open Science" der Helmholtz-Gemeinschaft. Ich hab ihn gefragt: Was macht denn das Geoforschungszentraum? - Das war mir nicht so klar - und da hat er mir kurz ein paar Stichworte geschrieben, die möchte ich vorstellen. Also es geht dabei vor allem um die globale Zusammenarbeit, und das ist natürlich für das Geoforschungszentrum zentral, und sie machen Satelliten-gestützte Erdbeobachtung und Erdbeben-Monitoring, also ganz wichtig. Und da sind natürlich nicht nur die westlichen Verbündeten dabei, die Daten liefern und die Daten brauchen, sondern natürlich auch China. Das ist wichtig, also China gehört dazu, aber für diese Arbeit ist natürlich der offene Austausch von wissenschaftlichen Daten, gegenseitiges Vertrauen und die Einhaltung der international geltenden Regeln guter wissenschaftlicher Praxis ganz wichtig. Und natürlich selber seine Funktion: Er achtet darauf, dass es um den richtigen Zugang geht, um die Nutzung von Daten - Stichworte: Datenschutz, Geheimnisschutz und Informationssicherheit, darauf kommen wir gleich zu sprechen.

Dann möchte ich Ihnen Herrn Dr. Thomas Pattloch vorstellen, den ich auch schon ganz lange kenne aus verschiedenen Kontexten, sehr schätze. Er ist Partner und Leiter der Abteilung für geistige Eigentumsrechte der Chinagruppe bei der internationalen Anwaltskanzlei Taylor Wessing. Und Herr Pattloch berät eine Gruppe von interessanten Unternehmen und Forschungsinstituten in den Bereichen Technologietransfer, Softwareunternehmen, Gaming-companies, Pharmaunternehmen, so wie auch öffentliche Forschungsinstitute, er ist beispielsweise stark involviert in der Diskussion mit dem BMBF und der DFG, da hat er eine ganz wichtig Rolle und ist auch wichtig beim Datenaustausch zwischen Deutschland, Europa und China. Der Fokus, so sagte er mir, geht bei der Beratung darum, die eigenen Ziele oder must-have's aus den Engagements mit China zu erreichen und neue rechtliche Risiken zu vermeiden oder zu minimieren. Also da sind wir auf der richtigen Seite, wenn wir mit Herrn Pattloch kooperieren, auch in unserem Projekt WIKOOP-INFRA.

Dann möchte ich Ihnen als nächsten Dr. Jost Wübbeke vorstellen, er hat mir nur sehr wenig von sich geschrieben, also ganz kurz und knapp: Er ist geschäftsführender Partner des Analyse- und Beratungsunternehmens Sinolytics mit Fokus auf China. Er und das Sinolyticsteam beraten Konzerne, Mittelstände und Verbände zu Cybersicherheit und Datenschutz in China.

Und last but not least, mein Nachbar zur linken hier, ich hab ihn gleich gefragt wie denn sein Name richtig ausgesprochen wird. Prof. Dr. Ramin Yahyapour, und er ist Professor für praktische Informatik und Leiter der Informationstechnik der Universität Göttingen, Geschäftsführer der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung Göttingen und Mitglied des Rates für Informationsstrukturen. Er schrieb mir, was der Rat für Informationsinfrastrukturen macht, und zwar dass dieser Empfehlungen vorbereitet für eine nationale Informationsdateninfrastruktur und dass er in den letzten Jahren den Verein Nationale Forschungsdateninfrastruktur e.V. gegründet hat, der von sehr vielen Institutionen unterstützt wird, vielleicht können Sie nachher nochmal darauf eingehen und ein Beispiel für die Umsetzung dieser Ideen in der Forschungsdateninfrastruktur geben. Seine Empfehlungen spielen also auch eine wichtige Rolle, da geht es um die Zugänglichmachung und das Teilen von Daten, das ist eine wichtige Funktion in dieser ganzen Diskussion. Die Universität Göttingen ist nationales HPC, das müssten Sie uns gleich auch nochmal erklären, und natürlich KI-Zentrum, wir wissen, Künstliche Intelligenz spielt eine wichtige Rolle und unterstützt diverse Dienste. Professor Yahyapour ist regelmäßig mit Fragen der Datenbereitstellung, Open Data und Open Science beschäftigt.
Hintergründe und Auslöser der chinesischen Datenstrategie
Margot Schüller: Ich glaube jetzt wissen wir alle, um was es geht und wir wissen auch, wie wichtig die Experten sind für unsere Diskussion. Fangen wir also mal an mit der ersten Fragerunde, und zwar wie ist das denn seit den letzten fünf Jahren mit der Entwicklung der Datenstrategie, Herr Wübbeke, was waren die Auslöser, dass sich China überhaupt einer neuen Staatenstrategie zugewandt hat. Könnten Sie da die Hintergründe erläutern? Danke.

Jost Wübbeke: Okay, ich hoffe online hat man mich auch trotzdem gehört. Also es sind aus meiner Sicht erstmal drei Punkte. Der erste Punkt ist natürlich: Es ist ja erstmal ein weltweites Phänomen und da sticht China auch nicht besonders hervor, dass man eine Datenstrategie erstmal braucht und das Processing von Daten, erstmal reguliert. Und ich meine, da gab es auch in China genug Skandale, die das notwendig gemacht haben. Wenn man jetzt so an Baidu, an die chinesische Suchmaschine denkt, da gab es 2016 einen großen Skandal, wo Daten, also ein Code zur Verfügung gestellt wurde von Baidu und dieser in unterschiedlichsten Apps benutzt wurde. Und dieser Code hat Daten abgegriffen und die ganzen persönlichen Daten an Baidu geschickt. Und das heißt, es war auch unbedingt notwendig, das erstmal zu regulieren. Was sicherlich besonders ist für den chinesischen Staat, warum die Datenstrategie so aussieht wie sie ist, ist natürlich der Aspekt der nationalen Sicherheit. Das ist sicherlich deutlich anders als in Europa. Aber generell dieser Begriff der Sicherheit, der steht natürlich sehr, sehr stark im Vordergrund und ich denke das sieht man in unterschiedlichen Bereichen, wie einfach dieser Begriff "Sicherheit" auch in China ausgeweitet wird, nicht nur im Bereich Daten, sondern in sämtlichen Bereichen: Energiesicherheit, wirtschaftliche Sicherheit. Also sehr, sehr breit. Was natürlich interessant ist - und ich glaube da werden wir sicherlich noch drauf eingehen - viele Daten sind natürlich für China auch von nationalem Sicherheitsinteresse. Also ich denke vielleicht werden wir über Kartendaten auch nochmal sprechen, aber das ist natürlich einer der Bereiche, der extrem sensitiv ist, wo übrigens auch die- also Sie hatten ja gesagt wir beraten, also Sinolytics, berät deutsche Unternehmen. Was man zum Beispiel im Automobilbereich sieht, dass deutsche Unternehmen größte Schwierigkeiten haben Lizenzen zu bekommen für hochauflösende Karten. Wo man sagt: Das braucht man eigentlich fürs autonome fahren. Aber da ist eben der chinesische Staat und sagt: Ja, das sind Daten, die sind irgendwie für die nationale Sicherheit von Bedeutung.

Ein dritter Punkt, den ich auch noch interessant finde, was hat eigentlich geführt zur chinesischen Datenstrategie. Herr Conlé Sie hatten es schon angesprochen - dass China Daten als eine Ressource ansieht. Und durchaus, also man hat ja gesagt das ist sozusagen der vierte Produktionsfaktor, und ich finde das eigentlich sehr einleuchtend und das zeigt irgendwie auch wie wichtig das aus einer chinesischen Sicht ist und natürlich auch in einem -sag ich mal- Wettbewerb, in einem wissenschaftlichen, in einem wirtschaftlichen Wettbewerb, dass natürlich gerade, wenn es hier um den grenzüberschreitenden Datenverkehr geht, natürlich auch darum geht: Wo behalten wir uns den Zugriff auf unsere Daten vor und wo ist es vielleicht opportun das nicht zu tun.

Schüller: Das ist ein guter Ausgangspunkt für die nächste Frage. Nämlich, Herr Pattloch, mit dieser Datenstrategie verändert sich ja sehr viel, es verändert sich sehr viel für die Wirtschaft, auch für die Wissenschaft. Was sind da die wesentlichen Veränderungen, die Sie sehen?

Thomas Pattloch: Ja, das ein sehr breites Feld geworden. Das war früher ein ganz kleiner Bereich, man muss sich vorstellen: Vor 2017, bevor das Cyber Security Law erlassen wurde, gab es auf der juristischen Seite so gut wie nichts. Es gab ein paar Vorschriften im Healthcare-Bereich, aber im Übrigen war das ganze relativ offen. Jetzt hat ja mein Vorredner auch schon beschrieben, wie da sozusagen der Fokus immer mehr auf diese Daten gerutscht ist, da war auch Tencent dran schuld und andere Unternehmen mit denen sich Xi Jinping zusammengesetzt hat und dann hat er da mit Pony Ma zusammen gesessen und gesagt: "You are sitting on a treasure, i want this". Und daraufhin startete die Regulierung, startete auch ein vermehrter Konflikt mit dem Westen.

Man darf nicht vergessen, dass die derzeitige chinesische Führung gegenüber dem westlichen Gesellschaftssystem sehr kritisch ist - und hat daraufhin angefangen, immer mehr Regularien zu erlassen. Und eine der Folgen, wonach Sie gefragt haben, ist, dass jetzt sehr viel mehr Regulationen, Regularien unterfällt, was vorher völlig frei war. Insbesondere die Wissenschaft, insbesondere Projekte, in dem Daten verschoben werden, hin und her, aber auch die Frage wie ich mit den Daten umgehe und was ich tun muss, wenn ich Daten habe. Das Vorbild der EU aus der DSGVO, der Datenschutzgrundverordnung, wurde zu einer Art Bumerang, denn die chinesische Seite hat gesagt: Das können wir besser, wir nehmen das, wir nehmen personenbezogene Daten. Da waren die Baidu Skandale und andere Skandale auch wirklich, und also TikTok und ähnliches kann man da auch anführen, das ist schon sehr umfangreich, wie da Daten sozusagen einfach missbraucht wurden. Aber die chinesische Seite hat daraus etwas viel Umfassenderes gemacht, sie hat ein Konzept entwickelt. Und das Konzept beginnt eigentlich schon vor dem Cyber Security Law, es beginnt in 2013 mit dem Social Credit System.

Das Social Credit System war ein erster Versuch, mehr Übersicht und Ordnung zu bekommen innerhalb des eigenen Chaos, der eigenen Wirtschaft. Sie müssen sich vorstellen, die chinesische Wirtschaft ist viel fragmentierter als das bei uns ist, es gibt dutzende von Unternehmen, Karteileichen, es gibt wahnsinnig viele Formen von Unternehmen, wo man manchmal gar nicht so ganz genau juristisch weiß: Was ist das jetzt eigentlich? Und es wird auch sehr viel sozusagen an Abläufen aufgeteilt und die Übersicht ist sehr schlecht. Und das Social Credit System sollte mal so ein bisschen Übersicht schaffen, das hat es auch und es hilft auch, und daraus ist dann mehr geworden. Und das "mehr" heißt, dass heutzutage, wenn Sie jetzt die Regularien anschauen, wir personenbezogene Informationen sehr umfangreich geregelt finden, es finden Anforderungen statt, die gehen über unsere DSGVO hinaus. Da müsste man mal im Detail darüber reden, was es ist, aber so grundsätzlich: Man muss mehr machen, als nach der DSGVO. Und dann gibt es neue Datenkategorien, die wir bisher in der EU noch gar nicht geregelt haben. Nämlich die sogenannten "Important Data", wichtige Daten, und "Core National Date", da gibt es auch noch "Network Data", es gibt "Scientific Data", ganz viele Datenkategorien, die gebildet werden.

Also der Hintergrund, die Folge dieser Regulierung, ist, dass nun plötzlich auch der Wissenschaftler, auch der individuelle Wissenschaftler und das Unternehmen, sich an diese Regelungen seit Ende 2021 halten müssen, sie aber gar nicht so richtig kennen. Man denkt sich: Ich hab meine DSGVO, ist alles gut, passt. Und dann kommt die chinesische Seite und sagt: Naja, wir hätten hier noch so ein Security Assessment und ein Data Impact Assessment und wir hätten hier noch die Bitte, dass da auch ein Data Protection Officer benannt wird, auch wenn Du im Ausland sitzt, und wir hätten hier noch die Bitte, dass du vor einem Export auch nochmal gewisse Sicherheitsgarantien abgibst und so weiter und so fort. Also von null Regulierung zu sehr viel Regulierung. Und von relativ freiem Umfeld zu sehr stark kontrolliertem Umfeld. Es geht um Kontrolle, Transparenz. Und die Transparenz ist nicht nur im Sinne von nationaler Sicherheit, das ist ein wichtiger Aspekt, es geht auch darum, dass man lenken will. Man will sicherstellen, dass die Ressourcen des Staates möglichst dort eingesetzt werden, wo die chinesische Führung glaubt, dass sie am besten eingesetzt werden soll. Und das kann man natürlich nur, wenn man genau weiß, was passiert, und man kann es auch nur, wenn man ein Verständnis dafür hat, was wichtig ist - auch in der Wissenschaft. Und dazu muss man erstmal sehr viele Daten bekommen. Also lange Rede, kurzer Sinn: Die Juristen freuen sich, die Wissenschaftler verzweifeln, und zwar zu Recht. Es ist so, dass wir uns ein wahnsinniges Korsett angelegt haben, die Europäer haben angefangen, die Chinesen haben es besser gemacht, weitergemacht. Und jetzt sitzen wir vor einem riesigen Feld von Definitionsaufgaben, die wir Juristen besonders lieben, die Ihnen in Ihrer Forschung nichts bringen werden, aber die natürlich ein politisches Lenkungsinstrument sind. Und die Frage ist: Welche Auswirkung wird das haben auf unsere Wissenschaftskooperation.

Schüller: Ja, da kann ich gleich anschließen. Ich möchte doch beide nochmal ganz kurz fragen und zwar: Sie sagten einerseits sind es interne Gründe, Zwänge, die quasi aus der Entwicklung der chinesischen Wirtschaft kommen, und anderseits auch geopolitische Zwänge. Wie ist das die im Verhältnis, hat sich das verändert im Laufe der Zeit, ist das jetzt gerade die Geopolitik, die im Vordergrund steht, die nochmal eine Veränderung erzeugt, oder ist das eigentlich jetzt schon zur Konfrontation mit dem Westen gekommen?

Wübbeke: Also ich würde sagen, die interne Kontrolle, gerade durch die CAC, das ist die Chinese Cyber Administration, ein Ministerium was sehr stark, oder sehr kontrollsüchtig ist, und eigentlich auch der Kern dessen ist, was Herr Pattloch ja auch beschrieben hat, dieses Wirrwarr aus Regularien und diese Komplexität. Und das ist etwas, was unabhängig erstmal von dieser geopolitischen Situation ist, sondern einfach auch damit zu tun hat, mit diesem Sicherheitsdenken - zwar nach außen hinaus, aber auch nach innen hin - und mit dieser Kontrolle. Und da steht übrigens die CAC auch mit anderen chinesischen Ministerien in Konflikt, also zum Beispiel mit dem MIIT. Das hat man im Automobilbereich sehr schön gesehen, da gab es dann so Verordnungen wie: Da sollte man jedes Mal, bevor das Auto losfährt, muss man ein consent geben, was ja irgendwie blödsinnig ist, das gibts ja - würde man sagen - noch nicht mal in Deutschland. Und ich meine das ist natürlich dann irgendwann auch verschwunden, aber das sind solche Sachen, die passieren und die passieren unabhängig von der Geopolitik. Jetzt ist es natürlich so, dass sich dieser geopolitische Faktor da auch mit vermischt und - es gab jetzt auch das Beispiel, dass die Teslas da nicht mehr in gewisse Militärbereiche reinfahren durften, das waren nicht nur Militärbereiche, sondern auch Staatsunternehmen. Und ich meine, Staatsunternehmen haben ja auch Wohngebiete, also die ganzen residential areas, sie gehören zu den Staatsunternehmen. Und da durfte man auch nicht reinfahren. Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe ähnliches schon einmal von Deutschland auch gehört, ich weiß nicht ob das dann wieder zurückgenommen wurde, aber das fand ich dann interessant, den Punkt. Also die Augen und Ohren des Teslas können sozusagen dann die Daten übermitteln in die USA.

Ein interessanter Fall, wo ich finde, dass Geopolitik ein sehr starker Faktor war, ist DiDi Chuxing, die größte chinesische TaxiApp, die ja jetzt erst vor ein paar Tagen wieder neue User zulassen durfte. Und das war über anderthalb Jahre auf Eis gelegt. Und das Problem, war natürlich, dass DiDi in den USA gelistet war, an der Börse, und dort haben sie dann bestimmte Offenlegungspflichten, und das hat den chinesischen Behörden überhaupt nicht gepasst. Ja, da ist auf jeden Fall ein geopolitisches Element drin.

Jetzt mal in die Zukunft gesehen: Dieses cross-border data transfer regime ist ja auch noch relativ neu, also insofern ist es als Sanktionsinstrument auch noch nicht so sehr vorhanden. Es gibt ein paar Ausnahmen im Finanzbereich oder im Health-Bereich, aber für die meisten ist das eigentlich relativ neu. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass diese selektive Kontrolle von Daten - und ich denke, viele Unternehmen werden davon nicht betroffen sein, oder vielleicht auch Wissenschaftler, ich muss sagen, ich sehe das aus der Unternehmensperspektive, aber das lässt sich vielleicht auch auf die Wissenschaft beziehen - viele Unternehmen wird es vielleicht nicht direkt betreffen. Sie müssen natürlich complient sein, aber sie werden nicht in den Fokus gerückt werden. Aber selektiv kann das sehr wohl auch eingesetzt werden. Und das ist so ein bisschen das Fiese an der chinesischen, Gesetzgebung und Regulierung: Es wird nicht immer unbedingt das gemacht, was auf dem Papier steht. Und vieles wird dann auch hintenherum gemacht und irgendwie informell. Und das ist glaube ich ist das schwierige und da glaube ich, dass das durchaus eine Rolle spielen kann.

Schüller: Möchten Sie noch etwas ergänzen zu dieser Frage: Ist das mehr Geopolitik? Haben Sie noch eine Ergänzung zu dieser Frage: Mehr Geopolitik oder mehr interne Zwänge? Wollen Sie dazu noch kurz etwas zu sagen?...

Pattloch: Ich glaube, was wir häufig im Westen nicht ganz verstehen ist, dass es vor allem nach innen geht. Also es geht darum, das Land sozusagen im Griff zu behalten und so zu formen und so zu lenken, wie es die derzeitige politische Führung will. Die geopolitischen Faktoren sind Driver, das sind sozusagen auch Rechtfertigungen und es sind Dinge, die ich aus chinesischer Perspektive auch als echte Bedrohung wahrgenommen werden. Es gibt sehr viele red lines, die die chinesische Seite schon sehr lange als crossed ansieht. Das fängt an bei diesen ganzen Fragen zum Staatsgebiet Chinas, das geht weiter über semiconductors und es geht auch dahin zur Frage, Medienfreiheit, Medienvielfalt, Meinungsäußerungsfreiheit und ähnliches.

Also aus meiner Sicht ist die Entwicklung, die wir sehen werden, es geht zu immer mehr Kontrolle, zu immer mehr Einschnüren. Und das Damoklesschwert, dass Sie so schön beschrieben haben, dass also über jedem schwebt, das ist einfach nur ein Tool um alle in Liene zu bringen, um sicherzustellen, dass sich jeder daran hält. Das ist aus westlicher Sicht vielleicht etwas problematisch, aus chinesischer Sicht nur konsequent. Wenn sie anfangen mit diesem Social Credit System und immer das weiterdenken, der Kontrolle über die Gerichte und jetzt bei den Daten landen, dann ist das einfach nur eine ganz klare Richtung. Und für uns wird die Herausforderung sein, wie man, mit welchen Risiken man in Zukunft dann in diesem Umfeld mit China zusammen agiert.

Schüller: Ja, vielen Dank, jetzt kommen unsere anderen Experten mit ins Spiel, Herr Yahyapour. Gucken wir doch mal nach Europa und Europa hat ja auch eine Datenstrategie, oder mehrere vielleicht sogar, und wie werden da Datenräume definiert? Wir haben ja diese European Science Cloud und andere Institutionen, die sich da entwickelt haben. Können Sie uns da ein bisschen mehr zu erzählen?

Ramin Yahyapour: Ja, das kann ich gerne machen. Wie meine Vorredner schon berichtet haben: Der Wert, die Bedeutung von Daten ist natürlich auch in der Wissenschaft völlig klar, und das auch seit vielen Jahren. In der Verbundforschung, bei Großexperimenten ist das schon ewig gelebte Praxis, in anderen Disziplinen kommt das in den letzten Jahren, dass man schon sagen muss: In vielen Forschungsfeldern kann man eigentlich nur im Verbund, in Zusammenarbeit mit der Möglichkeit zum Datenaustausch die großen neuen Errungenschaften der Zukunft erreichen. Und deshalb beschäftigt man sich natürlich genau mit dieser Fragestellung, und da muss man sagen, in den letzten Jahren oder aktuell beschäftigen wir uns primär damit, überhaupt Daten zugängig zu machen, nachnutzbar zu machen und nach den FAIR-Prinzipien, wie Herr Conlé sie auch genannt hatte, zugänglich zu machen. Weil wir natürlich in der Wissenschaft sehr individuell, am Platz eines einzelnen Wissenschaftlers, an einer Universität, Daten generieren, für die einzelne Personen es vielleicht gar nicht klar ist: Was muss ich denn machen, damit meine Daten noch in 10 Jahren zugänglich sind?

Und dafür sind Infrastrukturen neu entstanden, Aktivitäten entstanden - Sie hatten das Beispiel genannt aus meiner Vita, dass wir in Deutschland vom Rat für Informationsinfrastrukturen da genau ein Defizit gesehen haben, dass zwar viele Daten in der Wissenschaft entstehen, aber das volle Potential nicht genutzt wird daraus. Und daraus ist die nationale Forschungsdateninfrastruktur entstanden, eine Förderung des Bundes und der Länder, wo es darum geht, dass wissenschaftliche Disziplinen für sich die richtigen Formate, die richtigen Dienste, finden und dafür Strukturen aufbauen, um in ihrer Community solche Daten auszutauschen. Das machen wir in der RFFI, das ist das Kürzel dafür, für Deutschland. Auf der europäischen Eben gibt es die European Open Science Cloud, die ähnliche Ziele verfolgt, genau solche Datenräume aufzubauen, für bestimmte Disziplinen dort Strukturen zu schaffen. Nicht nur technisch, sondern auch durch Beratung, Unterstützungsleistung, um diesen Datenaustausch zu ermöglichen.

Die Punkte, die eben genannt worden sind, die geopolitischen Aspekte, sind Aspekte, die aus meiner Sicht in den letzten Jahren erst neu hinzugekommen sind und in vielen Bereichen den Wissenschaftler, die Wissenschaftlerin noch nicht erreicht haben. Im Moment freuen wir uns, dass wir überhaupt Daten austauschen können. Jede größere Universität, wie Hamburg oder Göttingen, hat eine Forschungsdatenpolicy -oder Leitlinie oder Richtlinie- erlassen, wir haben in den letzten Jahren daran gearbeitet eine open science, open data policy zu schaffen, um diese ganzen Dinge zu ermöglichen, auch ein Zeichen zu setzen, dass man Daten austauschen möchte, dass man teilhaben möchte an diesen ganzen Communities. Die geopolitischen Aspekte sind für uns, denke ich, noch eine völlige neue Herausforderung, zu denen wir noch gar keine Antworten gefunden haben. Und wie meine Vorredner eben sagten: Die systemischen Unterschiede zwischen China, Europa und auch Deutschland sind da natürlich völlig klar. Wenn wir im Moment über solche Fragestellungen reden, dann sind wir meistens den Selbstregulierungsprozessen der Wissenschaft unterlegen, was wir natürlich auch immer brauchen und wollen. Wir kriegen ja keine Vorgaben durch die Bundesregierung durch irgendeine policy, es gibt zwar eine Datenstrategie, aber wie sie am Ende umzusetzen ist, was das bedeutet für unsere einzelnen Projekte, in welche Kategorie unsere Daten fallen, da sind wir noch gar nicht angekommen, das ist ein Punkt, mit dem wir uns jetzt erst beschäftigen müssen. Als CIO einer großen Universität, wenn ich eine Anfrage kriege von einem Wissenschaftler, "Ich muss hier einen Vertrag unterschreiben, um Daten mit dem NIH in den USA auszutauschen", sind das Punkte, wo man mit gutem Menschenverstand mit der Rechtsabteilung versucht, eine Einschätzung zu treffen. Wenn diese Frage vor drei Jahren zum Datenaustausch mit Russland stattgefunden hätte, hätte man die wahrscheinlich anders beantwortet als wir es jetzt im Januar 2023 tun würden.

Und beim Thema China wird es ähnlich sein, dass wir dafür, denke ich, noch die richtigen Beratungs- und Unterstützungsstrukturen brauchen, an den einzelnen Standorten aber auch best-practices policies und Rahmenbedingungen, weil wie gesagt: In vielen dieser Fällen sind diese Entscheidungen am Schreibtisch der Wissenschaftler, das passiert nicht beim Präsidenten der Uni Hamburg oder beim Präsidenten der Uni Göttingen, sondern das sind ja Dinge, die in unseren normalen Forschungsprozessen stattfinden und dafür haben wir im Moment, glaube ich, noch keine Leitplanken für uns definiert: Was wir wollen, was wir können und wie wir es am Ende auch umsetzen wollen.

Schüller: Ja, vielen Dank Herr Yahyapour, das ist ganz wichtig für diese Perspektive auf Europa und was wir hier für Herausforderungen haben. Ich möchte jetzt Herrn Castell fragen: Es geht das Stichwort- also open science als übergreifendes Leitbild für eine digitale Wissenschaft, was genau bedeutet das? Da können Sie uns wahrscheinlich mehr zu erzählen.

Wolfgang Graf zu Castell-Rüdenhausen: Sehr gerne, das mache ich selbstverständlich. Denn open science mal grundsätzlich, ist einfach auch der Anspruch oder die Haltung zu sagen, dass ich im Wissenschaftsprozess, sozusagen vom ersten Gedanken bis zur Publikation der Ergebnisse am Ende, offen bin, transparent bin, die Dinge zugänglich mache. Warum ist das das Ziel? Weil grundsätzlich erstens mal die Wissenschaft natürlich, elementar von dem Prinzip der Nachvollziehbarkeit lebt, das wissenschaftliche Prinzip scheitert, wenn ich Wissenschaft alleine für mich in meinem Zimmer betreibe und Heureka rufe, wenn ich etwas verstanden habe. Also insofern ist open science eigentlich überhaupt nicht neu, sondern ist eigentlich eine Grundselbstverständlichkeit,1 seitdem wir Wissenschaft betreiben.

Nun, je mehr wir die Wissenschaft digitalisieren und das Ganze in die Datenwelt bringen, desto mehr kommen wir auch an die Herausforderungen, dass diese digitale Welt einfach nicht die gleichen Grenzen kennt, die wir in der physikalischen Welt haben. Und deswegen stellen wir uns heute natürlich viele, viele Gedanken, oder viele Fragen, die wir uns vorher nicht gestellt haben. Nichtsdestotrotz, wenn Sie mich jetzt mal versuchen lassen einen Bogen zu spinnen, zu dem was bereits gesagt wurde, möchte ich doch an ein, zwei Stellen noch einen anderen Gedanken reinbringen. Also mein erster Gedanke an dieser Stelle ist: Wir machen am Geoforschungszentrum Erdsystemforschung, unser Objekt ist die Erde. Geopolitisch zu sagen, "Ich schneide mir aus dieser Erde einen Teil raus und ich mache Erdsystemforschung nur in Europa", macht nur bedingt Sinn - und ich sehe an Ihrer Mimik, dass Sie mir da folgen bei dem Gedanken. Genauso selbstverständlich haben wir natürlich, seit Jahrzehnten globale Kooperationen laufen, in der Erdbeobachtung, im Monitoring von Geoereignissen, Seismologie und solchen Dingen, die wir nur dann machen können, wenn wir global mitmachen und wenn wir, jetzt mal ganz salopp gesagt, unsere Daten dort erheben, wo die geologisch relevanten Regionen sind. Und welche Fahne, sozusagen, national da drüber hängt, spielt da zunächst mal keine Rolle. Wenn ich diese Frage zuerst stellen würde, kann ich die Wissenschaft da überhaupt nicht machen. Also die Frage, inwiefern sich die Wissenschaft sich dessen bewusst ist, ja oder nein: Die Wissenschaft wird getrieben von der Frage.

Ein zweites Thema ist, Sie hatten das gerade so schön gesagt: Es wird immer mehr geregelt. Ja, das ist richtig und das ist glaube ich ein Problem, was uns in der Wissenschaft sehr, sehr stark umtreibt. Zum einen ist es ja mal so, dass wir natürlich Wissenschaftler erziehen, ganz bewusst damit sie Grenzen nicht akzeptieren, deswegen machen sie ja Wissenschaft, sie wollen immer über die Grenzen hinaus gehen. Gleichzeitig ziehen wir immer mehr regulatorische Grenzen ein, und da muss ich gar nicht nach China gucken, da haben wir glaube ich, auch auf europäischer Ebene schon genug zu tun. Also das ist eine zweite Frage.

Der dritte Punkt, den ich hier einbringen möchte, ist: Wir reden immer über Daten und über die Zugänglichmachung von Daten. Ich selbst komme aus einem Feld, das man maschinelles Lernen nennen kann, dort ist es die Frage, was ich mit den Daten machen kann. Und was wir heute aber sehr, sehr deutlich sehen, ist auch ein Rennen, sozusagen, wer ist schneller in der Entwicklung von Produkten, von Technologie, die aufsetzen auf Daten. Und das Nadelöhr an dieser Stelle ist eben schon lange nicht mehr die reine Computing Infrastruktur, wie das high-performance Computing, sondern ist heute tatsächlich auch oft der Zugang zu guten, qualitätsgesicherten Daten. Da haben wir natürlich mit dem Aufbau der nationalen Forschungsdateninfrastruktur oder die European open science Struktur sehr, sehr gute Ansätze, aber die bauen auf einem diversen, föderierten Gedanken auf, in dem ich erstmal viele, viele Einzeldinge zusammenbringen muss. Aus einer Datenanalysesicht, sage ich natürlich, ist es eigentlich schön so einen Ansatz zu haben wie China, wo das alles von oben durchgedrückt wird, dass das zentral gesammelt wird, wo die zentralen Datenspeicher sozusagen aus der Fläche gefüttert werden. Dann kann ich mich auf diese zentralen Speicher draufsetzten und muss nicht, wie es heute mein Alltag ist, 80 Prozent meiner Zeit damit verbringen, die Daten erstmal zu sammeln, zu suchen, bevor ich überhaupt analysieren kann. Und in diesem Sinne, oder aus diesem Blickwinkel heraus, ist es natürlich schon sehr, sehr spannend einfach zu sagen: Wie führen denn eigentlich diese unterschiedlichen Strategien, jenseits der Fragen von Compliance, Geheimnisschutz, Intellectual Property und so weiter und so fort, wie führen die eigentlich dazu, dass in gewissen Feldern wissenschaftlicher Tätigkeit einfach auch unterschiedliche Geschwindigkeiten entstehen. Und das haben wir auch auf europäischer Ebene heute schon, wenn wir zum Beispiel Gesundheitsforschung anschauen in Ländern mit einem nationalen Gesundheitssystem versus Ländern wie Deutschland, in dem das Gesundheitssystem und demnach auch die Daten sehr verteilt sind, also die gleiche Thematik.

Und nun möchte ich noch einen letzten Gedanken mit reinwerfen: Herr Yahyapour sitzt hier natürlich auch als Vertreter, die auch Verantwortung tragen für eine Informationsinfrastruktur und IT-Sicherheit und diese Dinge spielen eine Rolle. Jetzt haben wir also, etwas wieder provokativ gesagt, die Herausforderung: Wir wissen, dass es Angreifer gibt, wir wissen - um es mal zu übertragen auf physikalische Gebäude -, dass in Gebäude eingebrochen werden kann. Nun, dann ist die Konsequenz daraus völlig klar: Das sicherste Gebäude ist eins ohne Türen und ohne Fenster, da kann kein Einbrecher rein. Die Herausforderung ist dann: Wie organisiere ich eigentlich eine internationale Party, die offen sein soll, wo jeder kommen kann und gehen kann, in einem Haus ohne Türen und Fenster? Das heißt wir müssen einen Kompromiss finden dazwischen, wir müssen einen Weg finden. Und in diesem Sinne an die verschiedenen Herausforderungen, an die verschiedenen Aufgaben, die wir haben, mit Pragmatismus ranzugehen, Handlungsoptionen zu haben, zu wissen: Wo können wir uns wie, auf welchem Feld bewegen? Ist ein Muss, weil eine ja-oder-nein-Frage, Kooperation mit China: Ja oder Nein? -, in einer binären Antwortskala, einfach keine Option ist.
Regulierungen in China zu Datentransfer, Speicherung etc.
Schüller: Ja, vielen Dank. Wir gehen jetzt in die Runde, wo es dann nochmal etwas konkreter wird. Da spreche ich jetzt Herrn Pattloch nochmals an und zwar: Wir hatten 2018 in China ja die „Maßnahmen für den Umfang mit wissenschaftlichen Daten“, so heißt das glaube ich, so ungefähr, und das hat uns alle irritiert weil da ganz viele Regeln sind, unter anderem - später dann auch im Sicherheitsgesetz -, wie man Daten klassifiziert. Also in solche Daten, die Sie eben nannten, die ganz wichtig für den Staat sind, und solche, mit denen man kommerzielle Geschäfte betreiben kann. Also diese Klassifikation ist ja eine große Herausforderung, weil das sich ja auch ändern kann, eine gewisse Beliebigkeit hat. Wie wird in der Praxis damit umgegangen? Vielleicht auch in der Wissenschaft, vielleicht auch in der Wirtschaft...

Pattloch: Das ist jetzt eine der Schlüsselfragen, denn Sie haben ja schon das Thema angesprochen, Qualitätsdaten, was sind wichtige Daten, was sind Datensätze, die weiterbringen. Und wo wir momentan, Ihrer Vision sozusagen entgegengesetzt, ein Problem haben auf der politischen Ebene ist, dass China nicht in allen Bereichen die Transparenz will. Das wollen auch die USA nicht und auch andere Partner nicht, aber es gibt einfach Bereiche, wo Staaten sagen: Das wollen wir gar nicht, weil liegen vorne liegen, ätsch. Jetzt ist es so, dass in der Wissenschaft diese scientific data, das ist ein sehr weiter Begriff, die Regelung gibt es seit 2018, und die wurden erlassen, um das zu tun, was Sie beschrieben haben, Herr Dr. Castell zu Rüdenhausen. Das ist einfach ein Tool, um viele Daten an einem Ort oder einer Stelle zu sammeln, wo jeder drauf zugreifen kann, um sie dann zu nutzen. Thema hier ist nur: Am besten nur Chinesen, also nicht auch die Ausländer. Und wir wollen das auch nicht, dass das so richtig transparent wird, wir wollen, dass das ganze so ein bisschen husch husch organisiert wird. Das ist alles, denke ich, auch bis in einen gewissen Rahmen zulässig weil das ist ein Wettbewerb, auch in der Wissenschaft, aber wenn wir uns fragen: Wie wirken sich eigentlich diese Regelungen aus?

Dann gebe ich Ihnen ein ganz simples Beispiel: Sie haben Forschungsunternehmen und das Forschungsunternehmen macht was, sagen wir mal, im Medizinbereich, es geht um Krebsforschung. Und in der Krebsforschung gibt es natürlich viele personenbezogenen Daten, genetische Daten und ähnliches und es gibt auch sehr viele Daten, die müssen interpretiert werden und abgeglichen werden und dann will man, dass man diese Daten bekommt und austauscht und gemeinsam lernt. Das ist besonders wichtig in der personalisierten Medizin. Jetzt passiert folgendes: Der Gesetzgeber kommt und sagt: Naja, bei human genetic resources lassen wir keinen Export dieser Daten zu, oder nur unter ganz besonderen, engen Rahmenbedingungen, weil es hier um Daten geht, die unsere nationale Sicherheit, unser Volk betreffen. Und wenn die Daten aus Deutschland rüber fließen, dann müsst Ihr diese Daten einfüttern in unsere Computer, die werden dann auch übersetzt und verwendet. Aber ob unsere Daten, aus China, rüber fließen zu euch, das müssen wir dann nochmal sehen. Das heißt, was früher in der Wissenschaft eigentlich so eine ganz klare, sozusagen Gegenseitigkeit war, wird nun durch einen dritten Player am Tisch ausgehebelt, der jederzeit sagen kann: Nein, das tust du nicht. Und den man auch nicht irgendwie juristisch überprüfen kann oder ähnliches, sondern es wird einfach gesagt: Wollen wir jetzt nicht. Geologische Daten ist ein wunderbares Beispiel. Sie haben es so schön plakativ gesagt: Es ist die Erde, wir brauchen die globalen Daten. Und die chinesische Antwort daraufhin lautet: Ja, soweit sie uns nützen, kriegst Du sie auch, aber ansonsten bitte nicht. Also das data sharing, die Idee des data sharing, der accesibility of data, ist leider auf der politischen Eben nicht in allen Fällen gewünscht, weil sicherheitspolitische Bedenken bestehen, auf irgendeine Art und Weise. Und das fängt an bei der Meeresgeografie, bei allem, was mit Karten zu tun hat, das geht weiter in viele Bereiche der Meteorologie, auch von Beschaffenheiten von gewissen Landschaften und ähnlichem. All das, aus chinesischer Sicht derzeit, das sind wichtige Daten, die nicht ohne weiteres exportiert werden dürfen. Und das führt dazu, dass wenn man kooperiert, man sich immer eine Frage stellen muss: Bekomme ich eigentlich die Daten? Habe ich die Sicherheit, dass wenn ich meine Daten gebe, dass ich auch quality data zurückkriege? Oder sind die Daten vielleicht nur zur Hälfte da oder geschönt oder gar nicht? Das Gesetz erlaubt das alles zu unterbrechen, das Gesetz erlaubt es, da rein zu gehen. Und das machen viele Staaten so, die Amerikaner übrigens auch, dass sie sagen: "Hier, das ist national security" und so weiter. Für die Wissenschaft ist das ein wahnsinniger stumbling-block, das ist einfach eine Hürde, die Erkenntnisgewinn verhindert, die Erkenntnisgewinn langsamer macht und die Projekte fast undurchführbar macht, wenn der Staat da mit am Tisch hängt etwas zu sagen.

Das heißt, die Schlüsselfrage, die wir uns in Zukunft stellen werden, wenn Sie die Scientific Data ansprechen, ist: Inwieweit sind westliche Wissenschaftler damit fein, inwiefern sagen sie das ist in Ordnung, das könnt ihr machen, nehmt nur die Daten, ist alles gut. Und es ist auch okay, wenn ich aus China nichts zurückkriege. Oder inwieweit werden wir in einen Transaktionsmodus auch in der Wissenschaft wechseln? So wie bei Unternehmen, wo das schon gang und gäbe ist, wo man knallhart reinschreibt: Diese Daten gehören mir und du musst sie mir geben und wenn du es nicht tust Konsequenz ABC. Das ist etwas, was die Wissenschaft gar nicht kennt, was sie gar nicht hat, aber was von der chinesischen Seite eröffnet wurde, wenn man es so sehen will. Und es wird eben jetzt in Zukunft ganz konkret für Forschungsprojekte bedeuten: Was sind ihre must-have's, was müssen Sie haben, damit ein Projekt Sinn macht? Und dann die zweite Frage. Können Sie sicherstellen, dass diese must-have's auch tatsächlich fließen? Oder wird es einfach nur vom "good will" und auf die geopolitische Situation ankommen? Wenn eben jetzt irgendwas mit Taiwan ist und irgendein Land sich falsch verhält, heißt das dann plötzlich: Jetzt gibt es gar nichts mehr, alles wird abgeschnitten. Korea, Südkorea hat das schon durchmachen müssen. Und wir werden uns dieser Frage neu stellen müssen, weil es tatsächlich auch auf der Wissenschaftsebene kein theoretisches Szenario ist. Das klingt jetzt alles sehr gloomy und alles sehr negativ. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass Gott sei Dank Gesetzgeber am Anfang immer sehr mutig sind, vor allem bei neuen Sachen. Und dann merkt man, dass es sehr, sehr, sehr komplex wird und dann rudert man zurück. Und ich erwarte, dass die Gesetzgeber in West und Ost in gewissen Bereichen zurückrudern werden, weil sie schnell feststellen werden: Das macht ja alles kaputt. Dieser ganze Kontrollwahnsinn. Und man wird sich auf gewisse Bereiche beschränken müssen, und dann wird es auch wieder etwas besser.  

Schüller: Ja, vielen Dank. Die Aussichten sind also nicht so rosig. Aber vielleicht gibt es ja schon Erfahrungen, wie es gelingen kann, trotzdem die Fragen Datenspeicherung, Transfer international von Daten zu lösen. Herr Yahyapour können Sie da was zu sagen?  

Yahyapour: Ja, es sind ja eben schon diverse Beispiele genannt worden. Es gibt ja Verbundaktivitäten, wo Daten ausgetauscht werden. Und natürlich findet auch eine Diskussion zur Qualität der Daten statt, auch der Randbedingungen, unter denen Daten ausgetauscht werden. Wenn wir uns den normalen Alltag anschauen, ist es ja nicht so, dass Daten beliebig zur Verfügung gestellt werden, sondern natürlich gibt es eine Sicht darauf: Will man das aus kompetitiven Gründen nicht. Also eine Wissenschaftlerin versteht sehr gut, ob sie einen Vorteil davon hat, Daten zu teilen oder nicht, das findet sicherlich statt. Ich bin für eine Uniklinik mitverantwortlich, wenn es um Patientendaten geht, hat man natürlich riesige Anforderungen zum Thema Datenschutz, die man beachtet. Und auch da ist völlig klar, dass Daten einen Wert haben, die man jetzt auch nicht einfach so abgeben würde. Da durchläuft man schon diverse Prozesse. Trotzdem, in vielen Kooperationen findet man Vereinbarungen, teilweise in Wissenschaftscommunities weiß man das, Geoforschung ist so ein typisches Beispiel, wo man seit vielen Jahren das weiß, oder Klimaforschung etc. wo am Ende ein Konsens ist. Und die Frage, dieeben gestellt wurde: Ist dieser Konsens immer gegeben? Ist das ein Konsens, den wir innerhalb der Wissenschaft selbst für uns definieren können und darauf verlassen können, dass alle diesen Konsens auch einhalten?

Und da treffen natürlich jetzt verschiedene Systeme aufeinander. Auf der anderen Seite haben wir einen Staat, der Interessen hat. Und bei uns trifft man jetzt auf einzelne Wissenschaftlerinnen, auf eine Hochschule, die sich in diesem ganzen Konzert bewegen möchte. Wo man sagen muss, wenn ich mich persönlich nehme, ich bin ein großer Fürsprecher für Open Data und Open Science und tendiere auch dazu, alles, was man irgendwie kann, da nach außen zu stellen. Trotzdem frage ich mich in manchen Stunden schon: Meine Forschung wird durch Steuermittel finanziert und auf der anderen Seite gibt es jetzt jemand, der davon partizipiert, aber sich nicht einbringt, der also nicht reziprok diesen Prozessen folgt, diesem Konsens nicht folgt. Und da würde man sich natürlich manchmal wünschen, dass es auch bei uns diesen Diskurs darüber gibt: Was will man eigentlich und was will man nicht? Weil diese Fragen teilweise nicht von den Wissenschaftlern selbst beantwortet werden können. Ich leite ein Hochleistungsrechenzentrum, wir machen Super Computing. Da muss man schon sagen, dass Europa in den letzten Jahren seine Souveränität verloren hat. Wir kaufen für Millionen Euro immer wieder neue Supercomputingsysteme, hängen aber komplett von Firmen ab, die nicht in Europa angesiedelt sind. Und wenn man so ein Zentrum leitet, dann kriegt man schon ab und zu Informationen darüber, welche Exportbeschränkungen es gibt, was für Auflagen es gibt, wer auf diesen Systemen vielleicht rechnen darf oder nicht rechnen darf. Und das ist halt etwas, was sich dynamisch immer wieder ändert. In anderen Bereichen kennen wir das aber nicht.

Und ob wir selbst für uns in der Wissenschaft qualifizieren können, ob bestimmte Daten nun wirklich opportun sind, auszutauschen und mit wem, ist etwas, wo man, glaube ich, schon einen europäischen oder nationalen Dialog braucht, wo man manchmal so einen Ansprechpartner bräuchte, weil ich persönlich das gar nicht real einschätzen kann, welche Seite? Und da muss man gar nicht China nehmen. Die Diskussion zum Thema USA haben wir natürlich auch immer wieder, inwieweit es opportun ist, dass man vielleicht seine Daten zusammenführt und an einem Ort für die Wissenschaft leichter auswertbar macht. Das ist natürlich so, wenn man irgendwo zentralisiert. Aber wenn man dann schreibt, das passiert alles bei Google oder Microsoft, dann fängt man für drei Sekunden an, darüber nachzudenken: Ist das wirklich so opportun, dass diese Aktivitäten, diese Forschung nur in einem Staat stattfinden kann, der auch gefühlt klarer kommunizieren kann, was er für Interessen hat? Und auch da wieder aus dem Nähkästchen geplaudert: Vor drei, vier Jahren gab es eine intensive Diskussion im Hintergrund, die nicht öffentlich gemacht wurde, von Klimaforschern, die fragen, inwieweit sie aus USA ihre Klimadaten nach Europa exportieren könnten, um dort einen Safe Harbor zu haben, der nicht durch politische Einflussnahme am Ende in irgendeiner Form kompromittiert wird. Das sind ja Prozesse, die wir jetzt, ich sag mal ich selber, vorher nicht kannten. Dass man plötzlich Sorgen haben müsste, dass wir diese Einflussnahme aus politischen Strukturen haben, auf der anderen Seite in diesen Bereichen völlig leer zu sein, also nicht sprachfähig zu sein, macht es natürlich auch schwierig, daran teil zu haben. Und das Beispiel mit der Party ist natürlich richtig. Wir möchten natürlich gerne solche Partys organisieren, um in der Wissenschaft Forschung weiterzutreiben. Das ist ja eine Hauptmotivation. Wir wollen bessere Forschung machen und am Ende nicht Dinge verkaufen und nationale Interessen in den Mittelpunkt stellen. Aber wenn man natürlich immer wieder Personen hat, die zur Party kommen und nichts mitbringen oder vielleicht sogar eher was mitnehmen von der Party, dann fängt man auch an nachzudenken, ob sozusagen der Teilnehmerkreis für die Partys richtig ist und ob man vielleicht doch bestimmte Strukturen braucht, wo man sagt, nur in bestimmten geschützten Räumen ist man gewillt, Sachen auszutauschen, weil man halt weiß: Die anderen folgen diesem gemeinsamen Konsens. Man bringt was mit, man macht gemeinsame Forschung, die Ergebnisse werden zur Verfügung gestellt oder was auch immer.  

Schüller: Herrn Castell und Herrn Wübbeke. Auch zu dieser Frage bitte, eine kurze Stellungnahme abzugeben. Also zum Thema transnationaler Datentransfer, Speicherung. Also wenn Sie vielleicht anfangen könnten.  

Castell-Rüdenhausen: Erstmal hier gerne: Herr Yahyapour hat den einen wichtigen Punkt aus meiner Sicht gerade schon gesagt: Wir müssen auch selbst wissen, was wir wollen, und das wirklich deutlich machen. Nur dann können wir auch sagen, wie weit wir da gehen können. Ich möchte noch einen zweiten Aspekt drauflegen, der sehr wichtig ist, der uns jetzt gerade im Feld Open Science aufgefallen ist. Wir müssen auch aufpassen, dass wir dann unter dem gemeinsamen Formulierten auch das Gleiche verstehen. In einem gemeinsamen Workshop von Herrn Conlé organisiert mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, habe ich zu meiner Überraschung festgestellt, dass wir die Folien über Open Science nahezu austauschen könnten. Aber der Gedankengang, der da dahinter ist, die Interpretation, die Motivation, die dahinter ist, ist eine vollkommen andere. Und es kommt eine ganz andere Interpretation dabei raus. Also an der Stelle müssen wir, glaube ich, auch wirklich Wege finden und das geht wahrscheinlich nur durch Ausprobieren, wenn wir nicht zu viele Juristen beschäftigen wollen, dass wir feststellen, wie ist eigentlich die Formel, der Formelkompromiss wirklich gemeint? Was steht da dahinter, damit wir ein Gefühl dafür bekommen, sozusagen, wie weit wir gehen können und wie weit wir nicht gehen können? Was ist uns wichtig, was ist nicht wichtig? Und dafür eben die unabdingbare Voraussetzung, dass wir uns überhaupt mal selber bewusst machen, was wir für wichtig halten.  

Wübbeke:Ich hätte vielleicht noch zwei kurze Punkte. Der eine ist: Ich finde es interessant, wie widersprüchlich China da manchmal auch ist. Also es kam gerade, ich glaube gestern oder vorgestern, eine neue Regulierung, Verordnung oder eigentlich eine Policy raus, die das Ziel hatte, wieder vermehrt ausländische R&D Zentren anzuziehen. Also es ist ja durchaus ein Trend, dass deutsche internationale Unternehmen in China R&D Zentren aufbauen, und zwar nicht nur mit dem Ziel, für den chinesischen Markt zu forschen, sondern das einzubinden in ein globales Forschungsnetzwerk. Und da fand ich gerade, dass der Bereich Health sehr interessant ist, wo man ja auch sehr sensitive Daten handhabt. Und das funktioniert wirklich nur, wenn man das global austauscht. Wenn man die klinischen Tests, die man in unterschiedlichen Ländern macht und die Daten dann eben auch irgendwie zusammenziehen kann. Und auf der einen Seite will China eben diese Internationalen R&D Zentren, auf der anderen Seite haben irgendwie wir hier eine Datenpolitik, die das Ganze untergräbt. Und das ist das Interessante an China, dass es da irgendwie sehr, sehr widersprüchlich ist. Und ja, es wird sich irgendwie zeigen müssen, welcher dieser beiden Teile dann letztlich auch gewinnen wird. Ich glaube, im Moment ist man da eher auf der pessimistischen Seite.

Und der zweite Punkt: Ich glaube was, worauf wir uns auf jeden Fall einstellen müssen, und ich glaube jetzt für den Wirtschaftsbereich gesprochen: Es wird Geschäftsmodelle geben, die aufgrund dieser Datenregulierung nicht mehr funktionieren werden. Die kann man abschreiben. Zum Beispiel, was im Maschinenbau viel gemacht wird, ist ja dieses Predictive Maintenance oder Remote Maintenance, dass sie sozusagen aus der Ferne sehen können, was mit der Maschine passiert. Sie können sie aus der Ferne warten, sie können vielleicht sehen: Wird sie in zwei Monaten kaputt gehen oder nicht? Viele deutsche Maschinenbauer machen das, sag ich mal, in ihrem Dorf irgendwo im Süden oder so, haben die dann ihre Daten, ihre Cloud, oder sie haben irgendwo vielleicht eigene Server oder nutzen irgendwie einen Anbieter. Und diese Daten werden nun aus China nach Deutschland transferiert. Das geht im Moment ohne Probleme. Aber was ist, wenn jetzt der Staat, letztlich diese Cross Border Data Transfer Regulation, die ja jetzt in Kraft ist und es gibt ja noch eine Grace Period, aber was ist, wenn der Staat das wirklich hart anzieht? Und in vielen Fällen ist es vielleicht kein Problem, wenn das meine eigenen Maschinen sind. Vielleicht jetzt auch kein Problem, wenn es ein x-beliebiges chinesisches Unternehmen ist. Wenn das aber jetzt zum Beispiel ein Unternehmen ist aus dem Energiebereich oder aus dem Flugzeugbau oder irgendwas mit nationaler Sicherheit, dann können Sie das vergessen. Und ich denke, das ist nur eins von vielen Beispielen. Aber ich denke, es zeigt, dass gewisse Dinge einfach nicht funktionieren werden. Und das ist ein Wettbewerbsnachteil. Und ich denke, dass das auch sicherlich in der Wissenschaft so sein wird, dass bestimmte Kooperationsmodi nicht mehr funktionieren werden. Das gilt nicht für alles, aber das gilt für einiges und das muss man sich natürlich dann genau anschauen.  

Schüller: Ja, wir sind jetzt mit unserer ersten Runde der Fragen und Antworten durch und ich würde Sie gerne auffordern, auch Fragen zu stellen. Ich vermute, der eine oder andere ist schon vorbereitet und möchte die erste Frage stellen. [...]
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